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18.04.2011 - FREIES WORT - Lokalausgabe Hildburghausen Übersicht | Drucken

Pilgerreise: Die Menschen sind der Weg

Marie Kynast und Johannes Ehrhardt pilgerten 2010 auf dem Jakobsweg: 800 Kilometer zu Fuß. Im Schleusinger Ochsenkino zeigten sie den Film über ihr großes Abenteuer.

Schleusingen - Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Ob man dann mit Urlaubsfotos oder Videos die Freunde langweilen muss, kann jeder für sich selbst entscheiden. Wenn aber zwei eine besondere Reise tun, dann wollen den Film, der dabei entstanden ist, sogar viele Leute sehen. Und deshalb freuten sich Marie Kynast und Johanns Ehrhardt über die vielen Gäste im Künstlerhof Roter Ochse, die am Samstagabend neugierig auf ihren Filmbericht über ihre 800 Kilometer lange Pilgerreise auf dem Jakobsweg waren.

Mit einer digitalen Videokamera hatten Johannes und Marie in kleinen Sequenzen - meistens am Morgen oder am Abend - ihre Stationen aufgenommen: Impressionen von Wegen, Landschaften, Dörfern und Städten, vor allem aber von sich und den Menschen, denen sie auf dem Weg im vergangenen Jahr im August begegnet sind. "Der Weg ist das Ziel", so lautete anfangs das Motto der beiden. Doch unterwegs ändert sich vieles, so berichten beide. "Die Menschen machen diese Strecke auf dem Pilgerweg einmalig", sagen sie und sprühen immer noch vor Begeisterung über die Erlebnisse.

Kerkeling nicht gelesen

Sie hatten sich 40 Tage Zeit gegeben, um die 800 Kilometer Jakobsweg unter ihre Füße zu nehmen - das hieß jeden Tag rund 20 Kilometer, und das ohne vorher den Weg zu kennen und ohne zu wissen, was einen dort auf den vielen Kilometern durch fremde Landschaften und Städte so erwartet. "Wir haben auch das Buch von Hape Kerkeling bis heute nicht gelesen", gestehen sie. Außer ein paar Übungstouren auf dem Rennsteig und dem Gefühl, dem ganzen körperlich gewachsen zu sein, "wussten wir ja nicht, wie man pilgert", erzählt Johannes. Zwei gute Reiseführer in Buchform und ein paar Recherchen vorher waren ihre Vorbereitung. Und jeweils ein Paar neue Wanderschuhe, die kaum eingelaufen waren, als sie sich auf den Weg machten.

Und so werden aus 800 Kilometer Wanderung zu sich selbst vier Stunden Videomaterial, das Achim Hess vom Medienzentrum Henneberger Land auf eine sehr unterhaltsame, eindrucksvolle und emotionale knappe Stunde zusammengeschnitten hat. Untersetzt nur mit ein bisschen Musik wirken vor allem die Originalkommentare von Marie und Johannes, weil sie aus der Situation kommen und nicht später dazu gesprochen wurden. Der letzte Imbiss in einem Schnelrestaurant in Köln, die Tränen am ersten Abend der Pilgertour bei Marie, der Tag Pause weil Johannes sich an einem Brunnen den Magen verdorben hatte, die Interviews mit den Pilgern, die sie unterwegs trafen und nach ihrer Motivation befragten, den Jakobsweg zu gehen. Letztlich wurde aus einer Schnapsidee, wie Marie das Pilger-Vorhaben von Johannes zunächst empfand, das schönste Abenteuer, das beide je erlebt haben. Sie haben es gemeinsam erlebt, "und ihr seid reifer zurückgekommen", wie es Klaus-Peter Heinrich in der Gesprächsrunde nach dem Film einschätzte.

Tränen und Schmerzen waren offenbar immer schnell vergessen, die engen und nahezu überfüllten Herbergen, einfachste Bedingungen. "Aber die Freundlichkeit der Menschen, die uns auf dem Weg begegneten, war großartig - selbst wenn es eng war, wir mussten nie unter freiem Himmel schlafen", erzählen sie.

Einfach nur laufen

"Wir leben jetzt bewusster", sagen Marie und Johannes, "weil wir erfahren haben wie es ist, ohne viel Geld, ohne Arbeit, Lernen und täglichen Stress zu sein und einfach nur zu laufen." Nur die elementarsten Bedürfnisse werden erfüllt, "man denkt nur an Essen, Schlafen, genug Wasser und ans Laufen." Das geht natürlich nicht ewig, dazu sind sie beide Realisten genug. Immerhin hat die Tour einem Multitalent wie Johannes auch die Entscheidung für den Studiengang beschert: Er will - wie Marie - jetzt Lehrer werden. Und beide studieren nun gemeinsam in Jena, wohnen zusammen einer WG.

Ein Film von knapp einer Stunde und ein paar persönliche Anmerkungen danach können sicher nur im Ansatz wiedergeben, was Marie und Johannes auf dem Jakobsweg erlebt und was sie für ihr Leben daraus gewonnen haben. Aber was sie den Zuschauern mit ihren Aufnahmen, ihren Gesprächen und persönlichen Kommentaren zeigen ist, dass jeder ein so großes Ziel erreichen kann. Einen "normalen" Hotelurlaub können sie sich erst einmal nicht mehr vorstellen. Und das nächste Reiseziel steht schon fest: Im Sommer geht es durch England. Natürlich zu Fuß.
Von Jürgen Lautensack


aktualisiert von Thomas G. Marzian, 24.10.2011, 12:16 Uhr
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