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09.09.2011 - Feuilleton FREIES WORT Übersicht | Drucken

Werke, die stumm ihre Klage erhoben

"Wen die Kunst hat, den hält sie, da ist nichts zu machen" hat Ernst Barlach (1870-1938) einmal gesagt. Ab heute sind Arbeiten des Expressionisten im Künstlerhof Roter Ochse in Schleusingen zu sehen.
Von Susann Winkel


Sie tragen die Namen der Empfindsame, der Gläubige, die Erwartende, der Blinde, die Tänzerin, der Wanderer, die Träumende, der Begnadete und die Pilgerin. Neun lauschende Figuren aus Holz, deren Gesichter und Gebärden starke Empfindungen widerspiegeln. Gefühle, ausgelöst allein durch das Hören von Musik. Im Oktober 1935, drei Jahre vor seinem Tod, beendet Ernst Barlach die Arbeiten an dem "Fries der Lauschenden".

Zu diesem Zeitpunkt war die öffentliche Missachtung über das reife Werk des norddeutschen Bildhauers bereits befohlen, seine Kunst als "entartet" diffamiert. Er schwingt mit, dieser ideologisch verbrämte Hintergrund, auch wenn er nicht explizit zum Thema wird in der kleinen Ausstellung im Schleusinger Künstlerhof. Studien in Kohle zeigen Barlachs Vorarbeit zu den 110 Zentimeter hohen Figuren, Schwarz-Weiß-Fotografien zoomen heran an die im Hören entrückten Gesichter. Zu sehen sind auch Plastiken, gegossen in Bronze und Porzellan, Entwürfe, grafische Arbeiten, zudem das dramatische Werk des Expressionisten.

Privatsammler und die Ernst-Barlach-Stiftung Güstrow haben Leihgaben für die Schau gegeben. Dass sie überhaupt realisiert werden konnte, ist Kurator Arnd Pählig verdanken. Auch ein umtriebiger Kunstfreund im Ruhestand, genau wie Klaus Niemann, der Hausherr des Roten Ochsen. Schon einmal haben Pählig, der in der Nähe von Duisburg wohnt, und Niemann, der nach wie vor nur für kurze Aufenthalte aus Rheinland-Pfalz nach Schleusingen kommt, gemeinsam eine Ausstellung umgesetzt. Vor einem Jahr stellten sie im Künstlerhof Holzschnitte und Reliefs von Ernst Feige aus, 2012 könnte vielleicht eine Auswahl von Werken des sächsischen Expressionisten Tetzner vorgestellt werden.

Strotzend vor Lebenskraft

Doch vorerst bestimmt Ernst Barlach das Geschehen in dem Altbau mit dem roten Sandsteinochsen am Tor. Klobig und erdverbunden gestaltet er seine Figuren nach einer Russlandreise mit Bruder Nikolaus im Jahre 1906. Aus dieser Zeit stammen die Keramikplastiken "Blinder Bettler", "Russische Bettlerin mit Schale", "Liegender Bauer", "Russisches Liebespaar" und "Sitzendes Mädchen", ausgestellt in einer Vitrine im hinteren Teil des Saales.

Ganz anders die figürlichen Entwürfe aus dem produktiven Sommer 1935. Hier ist nichts mehr zu sehen von den redlichen, bei aller Plage dennoch vor urwüchsiger Lebenskraft strotzenden Gesichtern. Da ist "Die Schließerin", eine keifende Alte, deren Kohlezeichnung auf den 30. Juli datiert ist. Eine garstige Erscheinung. Die knochigen Füße nackt, der welke Busen zeichnet sich überdeutlich unter dem groben Gewand ab, das faltige Gesicht höhnt dem Betrachter.

Es sind groteske Fratzen, die Klage erheben gegen ein Regime, das ihrem Schöpfer die Arbeit versagte. "Mann in Ketten", "Die Hungrige", "Das schlimme Jahr" - auch die Werktitel dieses Sommers geben Zeugnis von der Brutalität, die in Barlachs Künstlerleben hineingekrochen war. Doch es gibt auch andere Stimmungen des Norddeutschen zu sehen. Seine Verehrung für Goethe etwa, dessen lustvolle "Walpurgisnacht" er in 29 Holzschnitten festhielt. Der Blick lohnt in diese ungewöhnliche Schau, doch er eilt auch - sie endet bereits am 25. September.

Die Ausstellung "Ernst Barlach. Bildhauer, Zeichner, Schriftsteller" ist an den kommenden drei Wochenenden jeweils von 14 bis 17 Uhr im Künstlerhof Roter Ochse in Schleusingen zu sehen. Individuelle Besuchszeiten für Gruppen nach Absprache per Email:

kuenstlerhof@schleusingen.de


aktualisiert von Thomas G. Marzian, 13.09.2011, 17:08 Uhr
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